Beiträge des Physikalischen Vereins zur Entwicklung von Technik und Naturwissenschaft

von Gerd Sandstede

1. Goethe und der Physikalische Verein

Wenn von Beiträgen des Physikalischen Vereins zur Entwicklung von Technik und Naturwissenschaft die Rede ist, so wurden diese natürlich durch Personen, und zwar meistens Mitglieder, also Wissenschaftler, Privatgelehrte oder Hobbyforscher, vollbracht, weshalb im folgenden vor allem auch von diesen berichtet wird. Der Physikalische Verein ist dem größten Sohn unserer Stadt, Johann Wolfgang von Goethe, sehr verbunden, hat er doch indirekt die Gründung des Vereins angeregt. Das ergibt sich aus folgendem Zitat aus seinem Bericht über seine Reise am Rhein, Main und Neckar in den Jahren 1814 und 1815:

"Die Physik in sich aufgenommen hat, bekannt zu werden, ist jedem größeren Ort, besonders Frankfurt zu gönnen. Hier fände der ausübende Arzt die neuesten Erfahrungen und Ansichten, die er auf seiner praktischen Laufbahn beiseite liegen läßt, bequem überliefert. Der Pharmazeut würde besser einsehen lernen, was es denn eigentlich mit den Bereitungen und Mischungen, die er so lange nach Vorschrift unternimmt, für eine Beschaffenheit habe. So viele Personen, die in wichtigen Fabrikunternehmungen die Quellen ihres Reichtums finden, würden durch Übersicht der neuesten Entdeckungen gefördert, ..."

"Wäre es möglich, einen tüchtigen Physiker herbei zu ziehen, der sich mit dem Chemiker vereinigte und dasjenige heranbrächte, was so manches andere Kapitel der Physik, woran der Chemiker keine Ansprüche macht, enthält und andeutet; setzte man auch diesen in Stand, die zur Versinnlichung des Phänomens nötigen Instrumente anzuschaffen, so wäre in einer großen Stadt für wichtige, insgeheim immer genährte Bedürfnisse und mancher verderblichen Anwendung von Zeit und Kräften eine edlere Richtung gegeben."

2. Gründung des Physikalischen Vereins

Mehrere Ärzte und andere Frankfurter Bürger hatten großes Interesse an Physik und Chemie, und als sie sahen, daß diese Gebiete von der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft nicht verfolgt wurden, gründeten sie am 24. Oktober 1824 den Physikalischen Verein; Hauptgründer war Prof. Dr. med. Christian Ernst Neeff (1782–1849), der am Senckenbergischen Stift, dem Bürgerhospital, tätig war; und maßgeblich unterstützt wurde er von dem Handelsmann und Mechaniker Johann Valentin Albert (1774–1856), indem dieser ein Physikalisches Kabinett in seinem Hause in der Schäfergasse zur Verfügung stellte und die früher käuflich erworbene Apparatesammlung ausbaute. Er entwickelte auch selbst Apparate, z.B. einen Funkenapparat.

Am 24. Nov. 1824 hielt Dr. Neeff die Gründungsrede und legte die Intentionen dar, die zur Gründung des Vereins geführt hatten. Zum einen war das die Freude an der physikalischen und chemischen Wissenschaft, wie es in der Satzung zum Ausdruck kam. Zum anderen betonte Neeff die Bedeutung der Naturwissenschaften für die Entwicklung der Industrie (wie modern hört sich das doch an!):

"Was hat Frankreich, was hat besonders England auf eine so staunenswerte Höhe des Kunstfleißes, und, durch diesen, des Reichthums und der Macht gehoben? Daß diese Länder dem Lichte der Wissenschaft sich nicht verschlossen haben; daß ihre Künstler, ihre Fabrikanten bei dem Naturforscher in die Schule gehen, und aus dem Studium der Physik und Chemie unendlichen Gewinn ziehen; daß jede neue Entdeckung ein Erwerbszweig für Tausende wird, und Millionen ein genußreicheres Daseyn gewährt.

Paragraph §1 der Satzung des Vereins von 1825 lautete:

"Um sich gegenseitig zu belehren, um Kenntnisse in der Physik und Chemie allgemeiner zu verbreiten, und diese Wissenschaften selbst so viel als möglich zu fördern und zu bereichern, sind mehrere Freunde derselben zur Bildung eines Physikalischen Vereins zusammengetreten."

Ganz ähnlich lautete der Paragraph § 1 in der Satzung von 1836:

"Der Zweck des Vereins ist allgemeinere Verbreitung physikalischer und chemischer Kenntnisse in theoretischer und praktischer Beziehung, durch Beförderung und Anregung wissenschaftlicher Forschungen, durch gegenseitige Mittheilungen und Besprechungen in den Versammlungen, und durch gemeinsame Arbeiten."

Die Satzung war in neuer Form aufgestellt worden, als der Verein die Albertschen Räume in der Töngesgasse, wohin Albert sein physikalisches Kabinett inzwischen verlegt hatte, verlassen und Räume von der Senckenbergischen Stiftung im Senckenbergischen Institut zur Verfügung gestellt bekommen hatte.

Gleich nach der Gründung hat man mit etwa wöchentlichen Vorträgen von Vereinsmitgliedern und Gästen begonnen, in denen alle damals aktuellen Themen behandelt wurden, wie z. B. Elektrizität, Akustik, Dampfmaschine, Luftschiffahrt, meteorologische Instrumente, Wasserstoff, Blausäure, Optik, Geschichte der Astronomie, Planetarium, Tellurium, Lunarium.

3. Meteorologisches Meßprogramm

Kurz nach der Gründung des Vereins fanden sich meteorologisch interessierte Mitglieder zusammen und führten Wetterbeobachtungen durch. Im Jahre 1826 bildeten sie dann ein Comité, das wöchentlich einen Bericht veröffentlichte und damit eine der längsten meteorologischen Meßreihen eröffnete. Auch Geheimrat von Goethe ließ sich die Meßergebnisse in Weimar berichten.

4. Elektromedizinische Forschung

Mindestens zwei Ärzte experimentierten zur Zeit der Vereinsgründung mit galvanischem Strom. Das waren Dr. Samuel Thomas von Soemmerring (siehe unter: Erster elektrischer Telegraph) und Dr. Neeff. Dies war ja erst seit kurzem möglich geworden, da der italienische Arzt Volta im Jahre 1800 die erste Batterie, und gleich eine mehrzellige, erfunden hatte, womit die erste technische Stromquelle existierte. Dr. Neeff glaubte nun, die Wirkung des Stromes auf den Patienten dadurch verstärken zu können, daß er ihn zerhackte. Deshalb konstruierte er einen mechanischen Unterbrecher (genannt Blitzrad), mit dem er durch Drehen eine relativ hohe Pulsfrequenz erzielen konnte. Neeff wird als ein Pionier der Elektromedizin bezeichnet.

5. Erster elektrischer Telegraph

Außer Neeff waren noch weitere Ärzte Mitbegründer des Physikalischen Vereins, zwei von ihnen hießen Soemmerring: Vater Dr. med. Samuel Thomas Soemmerring und Sohn Dr. med. (Detmar) Wilhelm Soemmerring. Dr. Samuel Thomas von Soemmerring ist der Erfinder des elektrischen Telegraphen. Schon in seiner ersten Frankfurter Zeit (1798–1805) fing er an, mit elektrischem Strom zu experimentieren. Im Jahr 1800 der Vorstellung der Erfindung der Voltaschen Säule hatten zwei Engländer und der Deutsche Ritter in Jena die neue Stromquelle schon zur Wasserelektrolyse angewendet, und Soemmerring tat dies 1801 ebenfalls. Prof. Dr. Samuel Thomas von Soemmerring (1755–1830) war schon ein berühmter Arzt vor allem durch sein Hauptwerk "Vom Bau des menschlichen Körpers", das lange Zeit das Standardwerk des Mediziners war. Er wurde in Thorn geboren, studierte in Göttingen Medizin, Physik u. a., hatte eine Professur in Kassel und danach in Mainz (bis zur Schließung der Mainzer Universität) und ging dann nach Frankfurt. 1805 wurde er an die Akademie der Wissenschaften in München berufen, wo er 1809 seinen elektrischen Telegraphen vorstellte. Als Signal verwendete er die Gasblasen der Wasserstoffentwicklung. Für jeden Buchstaben brauchte er folglich einen Draht. Bei diesem ersten Telegraphen handelte es sich also um einen elektrochemischen Telegraphen, der später durch das elektromagnetische Prinzip überholt war.

Im Jahre 1820 kehrte Soemmerring nach Frankfurt zurück, wo er 1828 im Physikalischen Verein seine verbesserte Ausführung vorstellte, bei der er zwei Pulse für einen Buchstaben verwendete, so daß er mit acht Drähten das Alphabet abdecken konnte. Er war auch mit Baron Schilling in St. Petersburg in Kontakt, der zunächst den elektrochemischen Telegraphen nachbaute, später aber einen elektromagnetischen Telegraphen entwickelte, den er mit Dr. Wilhelm Soemmerring (dem Sohn) 1835 im Physikalischen Verein vorstellte. (Kurz vorher hatten schon Gauss und Weber in Göttingen einen Elektromagnetischen Nadeltelegraphen entwickelt.) Schillings Telegraph wurde 1835 von Johann Valentin Albert nachgebaut für Prof. Munke in Heidelberg, der ihn Cooke und Wheatstone in London zeigte, von denen wohl Morse das Prinzip erfahren hatte. (1837 hat auch Steinheil in München einen Telegraphen vorgestellt.)

Wegen seiner Arbeiten und Schriften über Fossilien war Samuel Thomas von Soemmerring auch in der Senckenbergischen Gesellschaft tätig. Außerdem hat er viele Jahre bis zu seinem Tode 1830 Sonnenforschung im Rahmen des Physikalischen Vereins betrieben.

Eduard von der Launitz, ein Freund von Wilhelm Soemmerring hat 1849 eine Büste von Samuel Thomas von Soemmerring geschaffen, die noch im Physikalischen Verein vorhanden ist (einzige Büste überhaupt). Das Original des elektrochemischen Telegraphen befindet sich jetzt im Deutschen Museum in München. Das 1897 gegossene Denkmal, das nahe dem Eschenheimer Tor aufgestellt worden war, wurde 1942 eingeschmolzen. Aber die Stadt Frankfurt hat ihrem großen Sohn doch ein „Denkmal“ gesetzt: An der Südseite des Westflügels des Rathauskomplexes (Römer) befindet sich ein Relief von fünf Repräsentanten der technischen Wissenschaften: die vierte Figur ist Samuel Thomas von Soemmerring, die fünfte Rudolph Christian Boettger.

6. Chemische und galvanische Erfindungen

Im Jahre 1835 wurde Rudolph Christian Boettger als Lehrer für Physik und Chemie vom Physikalischen Verein angestellt, nachdem schon ein Jahr vorher erstmalig ein Lehrer für den Verein tätig war. Boettger begann sofort mit Vorlesungen, die im selben Jahr auch für die Frankfurter Gymnasien erweitert wurden, wofür die Stadt Frankfurt dem Verein einen Betrag von 1000 Gulden jährlich zahlte. Damit mußten aber auch alle anderen Tätigkeiten des Vereins für die Stadt abgedeckt werden; diese erstreckten sich u. a. auf technische Beratung und gutachterliche Tätigkeiten.

Prof. Dr. Rudolph Christian Boettger (1806–1881) stammte aus Aschersleben und studierte in Halle und Jena, dort bei Doebereiner, weshalb er auch seinen Probevortrag über Wasserstoff hielt. Kurz nach seinem Tode schuf F. Schierholz ein Denkmal, das dann später vor der Seite des Alten Physikgebäudes an der Senckenberganlage aufgestellt worden ist. Boettger experimentierte auch viel und erfand 1848 die Sicherheitszündhölzer, meldete aber merkwürdigerweise kein Patent an, so daß die Sicherheitszündhölzer als Erfindung der Schweden bekannt sind; immerhin bekam er aber sogar noch 1855 ein französisches Patent in Paris zur Weltausstellung. Im Jahre 1846 hatte er schon die Schießbaumwolle erfunden. Nachdem er Kenntnis von den Ergebnissen von Schönbein in Basel erhielt, der gleichzeitig daran arbeitete, haben beide gemeinsam eine Patentanmeldung beim Deutschen Bundestag getätigt.

Wesentliche Arbeiten hat Boettger auch zur Elektrochemie durchgeführt; so hat er die Glasversilberung und andere galvanische Metallisierungsverfahren entwickelt. 1842 hat er schon ein Standardwerk über Galvanoplastik geschrieben. Auf dem Roßmarkt in Frankfurt ist das Gutenberg-Denkmal zu besichtigen, das die erste großtechnische Galvanoplastik darstellt. Es wurde 1850 von Eduard von der Launitz geschaffen und nach Vorschrift von Rudolph Boettger und ferner Heinrich Roeßler galvanisch verkupfert.

7. Magnetelektrischer Unterbrecher und Motor

Ein besonders aktives Mitglied des Physikalischen Vereins war Johann Philipp Wagner (1799–1878), Mechaniker und Kaufmann und später Beamter; er stammte aus Fischbach/Nassau und war viele Jahre in einem Eisenwarengeschäft in der Fahrgasse tätig. Er experimentierte ebenfalls viel mit Batterien und erfand 1836 den magnetelektrischen Unterbrecher, also das Prinzip der Klingel; dieser wird Wagnerscher Hammer genannt, was aus der von ihm gewählten Form des Kontaktes herrührt. Im Jahre 1838 erfand er dann seine magnetelektrische Maschine, die sozusagen einen der ersten elektrischen Motore darstellt. Durch eine Schrittmechanik wurde die Kraft des magnetelektrischen Unterbrechers auf ein Zahnrad übertragen; ein 40 Pfund schweres Modell eines Elektromobils mit Batterien wurde von einem Zeitgenossen beschrieben. Wagner hielt dann 1841 einen Vortrag im Physikalischen Verein über Elektromagnetismus als Triebkraft. 1840 erhielt er ein Patent von der freien Stadt Frankfurt; eine Erweiterung auf den deutschen Bund wurde aber nach dreijähriger Prüfung abgelehnt, da das Prinzip im Vergleich zur Dampfmaschine zu teuer sei. Wagner hat den grundsätzlich höheren Wirkungsgrad des Batterieantriebs gegenüber der Dampfmaschine erkannt, war aber nicht in der Lage, trotz Verbesserungen der Zink-Kupfer-Elemente eine ausreichende Wirtschaftlichkeit zu erzielen, was man heute gut versteht.

Er war Mitglied der Gutachter-Kommission des Physikalischen Vereins für den Dampfmaschinenbau und -betrieb und wurde 1840 Inspektor für das Dampfmaschinenwesen der Stadt Frankfurt; und wurde sogar als Vertreter des Deutschen Bundes zur technischen Konferenz nach New York entsandt.

8. Astronomische Zeitbestimmung und telegraphische Ortsbestimmung

Die Beschäftigung mit der Astronomie war ein wesentlicher Bereich des Physikalischen Vereins von Anfang an; so wurden ab 1824 astronomische Beobachtungen durchgeführt und astronomische Vorlesungen gehalten – auch zur Geschichte der Astronomie. Dr. Samuel Thomas von Soemmerring hat über seine langjährigen Beobachtungen der Sonnenflecken berichtet. 1838 wurde eine Astronomische Beobachtungsstation – also erste Sternwarte des Vereins – auf dem Turm der Paulskirche eingerichtet, und die Stadt beauftragte den Verein, Zeitsignale zu geben, damit jeden Tag die Frankfurter Uhren reguliert werden konnten. So bildete der Verein eine Uhrenkommission, die unter der Leitung von Dr. med. Johann Balthasar Lorey stand; also war wieder ein Arzt physikalisch-naturwissenschaftlich tätig.

Die geographische Breite wurde mit Hilfe von Polarstern, weiteren Fixsternen und der Sonne bestimmt, wofür Theodolith und Fernrohr angeschafft wurden. Mit einem Passageinstrument konnten dann die Uhren geeicht werden; allerdings mußte man dazu die geographische Länge genau kennen. Diese wurde zunächst durch damals übliche Chronometerreisen bestimmt; die Kommission führte dann aber die erste telegraphische Ortsbestimmung in Deutschland durch, wozu eine ununterbrochene telegraphische Verbindung zwischen Berlin und Frankfurt hergestellt werden mußte. Auch heute noch werden die Ortskoordinaten von Frankfurt auf die Paulskirche bezogen!

Als zweiten Physikdozenten des Physikalischen Vereins holte man 1860 Dr. Ernst Abbe (1840–1905) nach Frankfurt, der drei Jahre später nach Jena ging und dort bekanntlich die Zeiss-Stiftung groß gemacht hat. Er war auch Leiter der Astronomischen Beobachtungsstation (Sternwarte) und folglich für die Zeitbestimmung verantwortlich. Wegen der Sichtbehinderung (durch Neubauten) des an einer Hauswand angebrachten Meridianzeichens erfand er eine optische Meridianeinrichtung: Ein Strich auf einer Linse, die fest montiert wurde, markierte den Meridian für das Passageinstrument! Abbe bezeichnete sich selber oftmals als Frankfurter Stadtastronom.

Ein weiterer Leiter der Sternwarte und Uhrenkommission sowie der vierte Physikdozent des Vereins wurde 1864 Friedrich Kohlrausch (1840–1910), der spätere Präsident der Physikalisch-technischen Reichsanstalt. In Frankfurt begann er schon seine Arbeiten zur Leitfähigkeit der Elektrolyte, die ein Fundament der Elektrochemie und Physikalischen Chemie wurden.

9. Das erste Telephon

Nachdem Philipp Reis sich neun Jahre lang mit der Reproduktion von Tönen durch den galvanischen Strom beschäftigt hatte, hielt er darüber 1861 einen Vortrag vor dem Physikalischen Verein, dem er als Mitglied angehörte. Die Kombination aus Geber und Empfänger nannte er Telephon (der Ausdruck war schon früher verwendet worden, was Reis aber nicht wußte), und er konnte damit Töne und in schlechterer Qualität auch Sprache übertragen. Zunächst gab er dem Geber die Form eines Ohres, dessen entscheidender Teil aber ein Unterbrecherkontakt war. Unter Ausbildung eines solchen Kontaktes konstruierte er bessere Geber.

Von dem englischen Physiker Silvanus P. Thompson wurde 20 Jahre später eine Biographie über Reis und sein Telephon veröffentlicht, in der bewiesen wird, daß Reis sehr wohl wußte, daß der Strom nicht vollständig unterbrochen werden sollte (wie manche meinen), sondern nur der Widerstand des Kontaktes durch den Schall geändert werden sollte (und so der Strom moduliert werden sollte). Damit war der Reis'sche Geber ein Vorläufer des Widerstandsmikrophons (Kohlekörner usw.). Zwei Jahre später hatte Reis dann eine Ausführung entwickelt, die von der Firma Johann Wilhelm Albert, Sohn von Johann Valentin Albert, in mindestens 50 Exemplaren hergestellt worden ist. Eine dieser Ausführungen sandte er an die Werkstatt von Ladd in London, der ebenfalls viele Apparate herstellte. Für den Empfänger verwendete Reis das Prinzip der Magnetostriktion: Die Längenänderung einer Stricknadel brachte einen Resonanzkasten zum Schwingen, also Tönen. Zwischendurch hatte Reis auch einen elektromagnetischen Empfänger verwendet; leider hat er damit nicht weiter experimentiert; denn dieses Prinzip war die Grundlage für den Erfolg von Alexander Graham Bell, der 1876 sein Patent anmeldete (also seine Erfindung erst 15 Jahre später machte). Bell verwendete nicht nur einen elektromagnetischen Empfänger sondern auch einen elektromagnetischen Geber, wodurch er auch Sprache reproduzierbar übertragen konnte. Dies war die Schwierigkeit bei dem Reis'schen Geber, weil die Membran sehr empfindlich war und durch Temperaturänderung, Feuchtigkeit, Alterung usw. ihre Spannung und damit die Eigenschaften des lockeren Kontaktes änderte. Reis hatte schließlich zwar große wissenschaftliche Erfolge – durch seinen Vortrag bei der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte 1864 waren er und seine Erfindung allgemein anerkannt –, aber ein technischer Einsatz seiner Apparate gelang nicht – wohl wegen unzureichender Reproduzierbarkeit. (Im übrigen begann der Siegeszug des Telefons erst ca. 1880, nachdem das Kohlemikrophon von Edison eingeführt war.)

Philipp Reis wurde 1834 in Gelnhausen geboren, war Lehrer in Friedrichsdorf und starb dort mit 40 Jahren 1874. Im Physikalischen Verein befindet sich eine Büste von Philipp Reis, die von Carl Rumpf 1884 geschaffen wurde; die Errichtung eines Denkmals durch den Physikalischen Verein hat sich dann bis 1919 hingezogen. In der Anlage hinter dem Eschenheimer Tor steht das von Fr. Hausmann geschaffene Denkmal aus Stein auch heute noch. Alle zwei Jahre wird der von VDE, Telekom und den Städten Friedrichsdorf und Gelnhausen gestiftete Philipp Reis-Preis in Gelnhausen verliehen; Vorsitzender der Kommission ist Professor Wolf vom Institut für Angewandte Physik der Frankfurter Universität, der auch im Besitz eines Originals des Reis'schen Telephons von Albert ist.Weitere Originale befinden sich im Deutschen Museum in München und Postmuseum in Frankfurt.

10. Beiträge zur Elektrotechnik

Nachdem 1867 durch Werner von Siemens das dynamoelektrische Prinzip entdeckt worden war, entwickelte sich die Anwendung des elektrischen Stromes immer schneller. 1881 wurde in Frankfurt die Elektrotechnische Gesellschaft (der Vorläufer des VDE) gegründet – ein Jahr nach der Bildung des Elektrotechnischen Vereins in Berlin. Um die Elektrotechnische Gesellschaft hat sich ab 1889 deren Vorsitzender Eugen Hartmann, der ab 1884 im Physikalischen Verein sehr aktiv war, besonders verdient gemacht. 1884 wurde die erste elektrische Strassenbahn Deutschlands von Frankfurt nach Offenbach gebaut, und 1885 hat Stroof in Griesheim die erste Natriumchlorid-Elektrolyse (Chlor- und Alkali-Erzeugung) der Welt in Betrieb genommen.

Der Nachfolger von Boettger wurde Bernhard Lepsius nunmehr nur als Chemiedozent, nachdem der Verein seit 20 Jahren auch Physikdozenten beschäftigte. Lepsius (1854–1934) wurde in Berlin geboren und studierte Chemie in Straßburg und Göttingen; er blieb als Leiter des Chemischen Instituts im Verein bis 1891 und wurde dann Direktor der Chemischen Fabrik Griesheim-Elektron, wo er u. a. die Natriumchlorid-Elektrolyse ausbaute.

Mit Chemie beschäftigte sich auch (im wesentlichen als Privatgelehrter) Prof. Theodor Petersen (1836–1918), der Vorsitzender des Vereins in den Jahren 1880 bis 1898 war – teilweise abwechselnd mit Dr. Heinrich Roeßler. Petersen studierte Chemie in Göttingen bei Friedrich Woehler (aus Frankfurt), der schon 1824 im Verein Vorträge gehalten hatte und Ehrenmitglied war.

Auf Anregung von Petersen wurde zusammen mit Leo Gans, Heinrich Roeßler, Julius Ziegler und Ph. Fresenius schon 1869 die Frankfurter Chemische Gesellschaft sozusagen als Ableger des Physikalischen Vereins gegründet. Petersen ist es auch zu verdanken, daß eine elektrotechnische Abteilung im Verein Ende der achziger Jahre eingerichtet wurde und 1896 ein medizinisches Röntgen-Institut gegründet wurde; ferner hat er 1894 erstmalig naturwissenschaftliche Ferienkurse für Lehrer organisiert.

Der Physikalische Verein hat 1889 seine Elektrotechnische Lehranstalt gegründet und damit die erste Elektrotechnikerschule in Deutschland, wenn nicht der Welt, geschaffen. Der erste Leiter wurde Prof. Dr. Joseph Epstein (1862–1930) aus Leipzig; nicht nur die Lehranstalt und der Physikalische Verein sondern das technische Ausbildungswesen in Deutschland verdanken ihm sehr viel. 1898 kam Friedrich Bode (18??–1947), der bei Kohlrausch in Hannover studierte, als Assistent an die Lehranstalt und wurde später Epsteins Nachfolger. Aus seiner Feder stammt das damalige Standard-Werk, das Bode-Lehrbuch für den Elektro-Installateur (24 Auflagen bis zum zweiten Weltkrieg). Der letzte Leiter war dann von 1938 bis 1970 Dipl.-Ing. Arnold Wagner; danach wurde die Anstalt in Anbetracht der schon lange tätigen Berufsschulen und Fachhochschulen geschlossen.

Um die Gründung der Elektrotechnischen Lehr- und Untersuchungsanstalt (wie sie auch hieß) haben sich besonders bemüht Eugen Hartmann, der später Professor und Dr.-Ing. E.h. wurde, und Dr. Heinrich Roeßler. Hartmann (1853–1915) wurde in Nürtingen/Neckar geboren und studierte einige Semester Physik in Göttingen u. a. bei Wilhelm Weber, nachdem er Mechaniker gelernt hatte. Danach wurde er Institutsmechaniker in Würzburg bei Prof. Friedrich Kohlrausch, und unter dessen Beratung hat er dann eine elektrotechnische Firma gegründet und ab 1880 u. a. Telephone hergestellt. 1884 verlegte er die Firma nach Frankfurt (Hartmann und Braun in der Gräfstraße); sie stellte zahlreiche elektrische Geräte her, u. a. auch ein Prüfgerät für Blitzableiter, das der Physikdozent des Physikalischen Vereins, Dr. Nippoldt, entwickelt hatte. Damals gab es auch eine Kommission des Physikalischen Vereins für die Stadt über die Anlage von Blitzableitern. Wilhelm August Nippoldt (1843–1904) war schon 1868 vom Physikalischen Verein eingestellt worden; in Kassel geboren, studierte er Mathematik, Physik und Astronomie in Göttingen bei Kohlrausch.

Die große Elektrotechnische Ausstellung in Frankfurt/Main 1891 wurde von der Frankfurter Elektrotechnischen Gesellschaft auf Anregung von Leopold Sonnemann, Verleger der Frankfurter Zeitung, veranstaltet, wobei der Physikalische Verein und die Elektrotechnische Lehranstalt mit eingebunden waren und weitere Vereine und vor allem die Stadt beteiligt waren. Es war eine riesige Ausstellung – die fünfte nach Paris, München, Turin und Wien –, die sich vom Hauptbahnhof über fast das ganze Gelände südlich der Kaiserstraße bis zum Anlagenring erstreckte; erstmalig gab es auch eine Halle für Elektrochemie (Aluminium, Chlor usw.). Außerdem wurde erstmalig die Hochspannungs-Drehstrom-Übertragung demonstriert mit einer Leitung zwischen Lauffen am Neckar und der Frankfurter Ausstellung: 130 kW bei 15000 V über 175 km.

11. Beiträge des Physikalischen Vereins zur Klimatologie

Voraussetzung der Aktivitäten in der Elektrotechnik war eine Vergrößerung der Räumlichkeiten; auch forderte die Meteorologie seit langem mehr Platz. So errichtete der Verein 1887 ein eigenes Gebäude in der Stiftstr. 32 zwischen Senckenberg-Bibliothek und -Museum (am Eschenheimer Tor) und Bürgerhospital. Das Vereinsgebäude ist vor allen Dingen zwei Mitgliedern zu verdanken: Prof. Theodor Petersen und Dr. Heinrich Roeßler. Roeßler (1841–1924) hörte Physik und Chemie bei Boettger und studierte dann Chemie bei Woehler in Göttingen; 1868 übernahm er mit seinem Bruder zusammen die väterliche Scheideanstalt und baute sie in kurzer Zeit zur Degussa aus. Von 1887 bis 1895 war er Vorsitzender des Vereins, sorgte u. a. für die Einrichtung einer Abteilung Meteorologie und kümmerte sich um die Elektrotechnische Lehranstalt sowie um die Lehrerfortbildungskurse.

Nachdem die Meteorologie sich nunmehr ausdehnen konnte und auch der alte Botanische Garten hinter dem Hause mitbenutzt werden konnte, traf es sich gut, daß ein Physiker mit starkem meteorologischen Interesse als Physikdozent des Vereins berufen wurde. Prof. Walter König (1859–1936) studierte in Tübingen, Berlin, Heidelberg und Leipzig und übernahm die Leitung des Physikalischen Instituts 1892. Er beschäftigte sich mit der Physik auf breiter Basis und außerdem mit Klimatologie; so hat er zum ersten Mal Wettertypen definiert. Sein Buch (zusammen mit Ziegler) "Das Klima in Frankfurts" wurde 1895 als Ehrengabe zur Gründung der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft verwendet.

Ein weiterer im Verein meteorologisch tätiger Wissenschaftler war Prof. Dr. Julius Ziegler (1840–1902); er studierte Naturwissenschaften und promovierte in Chemie. Ziegler ließ sich in Frankfurt als Privatgelehrter nieder und wurde von seiner Frau Johanna bei seinen meteorologisch-klimatologischen Arbeiten stark unterstützt; sie beobachteten z.B. 160 Pflanzenarten im Hinblick auf den Zusammenhang von Vegetation und Klima. 1890 kam Zieglers führendes Werk über Pflanzenphänologie heraus.

12. Röntgendiagnostik

Unmittelbar nach Röntgens Entdeckung erkannte Walter König die medizinische Bedeutung und richtete sofort ein Röntgenlabor ein; wenige Monate später wurde die erste Röntgen-Aufnahme gemacht. Danach wurde dann vom Verein eine Röntgeneinrichtung im benachbarten Bürgerhospital (zur Senckenberg-Stiftung gehörend) erstellt.

Die erste Firma für Röntgengeräte gründete Friedrich Dessauer (1881–1963) als zwanzigjähriger in Aschaffenburg, wo er geboren war. 1907 hat er einen Zweigbetrieb in Frankfurt errichtet; an beiden Standorten zusammen hatte die VEIFA genannte Firma 1914 schon 500 Mitarbeiter. Dessauer studierte zunächst in München und Darmstadt, unterbrach dann 1901 und setzte 1914 sein Studium in Frankfurt bei Prof. Deguisne fort, dessen Institut für Elektrotechnik des Physikalischen Vereins gerade Universitätsinstitut für Angewandte Physik geworden war. Dessauer blieb dann an der Universität und begründete als Professor das Gebiet "Physikalische Grundlagen der Medizin" in Frankfurt, auf dem er während des III. Reiches in der Türkei und der Schweiz weiterarbeitete. Professor Dessauer war außerdem Politiker und viele Jahre Reichstagsabgeordneter sowie großer Philosoph; er wurde vom Physikalischen Verein zum Ehrenmitglied ernannt.

13. Neues Institutsgebäude für weitere Aktivitäten des Physikalischen Vereins

Nicht nur die experimentellen Forschungen weiteten sich aus, sondern auch der Vorlesungsbetrieb nahm zu, besonders auch mit der 1901 gegründeten Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften, für die von Dozenten des Vereins Vorlesungen in Mathematik, Physik, Chemie usw. gehalten wurden. Ab 1908 gab es sogar gemeinsame Berufungen.

Statt den schon geplanten Erweiterungsbau zu realisieren, wurde 1907 ein neues viel größeres Gebäude errichtet, und zwar wieder auf Boden der Senckenbergischen Stiftung neben dem neuen Senckenberg-Museum, das an der Viktoria-Allee (heute Senckenberg-Anlage) gebaut worden war; die treibenden Kräfte für den Neubau waren Prof. Eugen Hartmann und Dr. Leo Gans, die sich in den Jahren 1898 bis 1917 weitgehend als Vorstandsvorsitzende des Physikalischen Vereins abwechselten.

Leo Gans (1843–1935) hörte Vorlesungen bei Boettger und studierte Chemie in Karlsruhe, Heidelberg sowie Marburg und ging danach in eine Fabrik in Paris. 1868 hat er dann schon seine eigene Fabrik in der Soemmerringstraße gegründet und übernahm danach den Firmenmantel seines Großonkels Cassella.

Das Gebäude wurde mit vielen teilweise großen Experimentaleinrichtungen ausgestattet. Dem Physikalischen Institut stand Prof. Richard Wachsmuth (1868–1941) vor, der sich insbesondere mit der Elektrizitätsleitung in Gasen beschäftigte; in diesem Institut wurde 1921 der berühmte Stern-Gerlach-Versuch durchgeführt. Wachsmuth wurde in Marburg geboren und studierte in Heidelberg, Berlin, Leipzig und Göttingen und ging dann als Professor nach Rostock; 1907 wurde er an den Physikalischen Verein berufen.

Im Jahre 1909 wurde am Physikalischen Institut eine Abteilung "Wissenschaftliche Photographie" eingerichtet, die später in die Angewandte Physik überging; sie fand bald hohe wissenschaftliche Anerkennung. Der Leiter war Max Seddig (1877–1963); geboren in Crimmitschau in Sachsen; Studium der Medizin, Physik und Mathematik in Leipzig, Greifswald und Marburg; Habilitation 1908 an der Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften in Frankfurt. 1916 entwickelte er die Seddig-Röhre, 1932 wurde er Leiter des Instituts für Angewandte Physik als Nachfolger von Deguisne.

14. Ballon-Meteorologie und Wetterdienst sowie Taunus-Observatorium

Nachdem ja schon seit 1826 das meteorologische Comité existierte, das seit 1881 unter der Leitung von Prof. Wilhelm Boller stand und seit 1881 täglich Wetterprognosen herausgab, wurde 1906 das Meteorologische Institut gegründet. Nach dem Weggang von Kurt Wegener (dem Bruder von Alfred W.) wurde Franz Linke 1908 zum Leiter ernannt, was er auch nach der Universitätsgründung bis zu seinem Tode 1944 blieb. Der Verein hat dann 1906 einen eigenen Freiballon angeschafft, mit dem meteorologische Messungen und sogar Flüge bis nach England durchgeführt wurden. 1909 beteiligte sich der Verein an der großen internationalen Luftschiffahrt-Ausstellung in Frankfurt, dessen Präsident Dr. Leo Gans war. Der Verein richtete auch einen Wetterdienst, insbesondere erstmalig Mitteilung der Windmeßergebnisse, und Gewitterwarndienst ein, der viele Jahre betrieben wurde, auch z. B. für die Luftschiffe. Graf Zeppelin war häufiger Besucher des Physikalischen Vereins und auch Ehrenmitglied. Als der Verein 12 Freiballone besaß, beteiligte er sich auch an der Gründung des Frankfurter Vereins für Luftfahrt, mit dem er in enger Fühlung blieb. Auch Prof. Wachsmuth (u.a. Physiker, z. B. Seddig und Schwarzschild s.w.u.) beteiligten sich an den Ballonfahrten, die Wachsmuth z. B. für die Messung von Staubkonzentrationen benutzte.

Vom Physikalischen Verein wurde dann 1911 das Taunus-Observatorium auf dem Kleinen Feldberg errichtet, was durch eine größere Spende von der Baronin von Reinach, der Witwe des Geologen und Privatgelehrten Dr. von Reinach, möglich wurde. Hier wurden eine meteorologische, eine aerologische und eine geologische Station eingerichtet, in der die Aerosolforschung fortgesetzt wurde, die Freiballonstarts erfolgten und die Erdbebenforschung begonnen wurde. Einer der ersten großen Seismographen wurde in einem Bunker aufgebaut und ist heute noch in einem kleinen Museum im Taunus-Observatorium, das mit Unterstützung des Physikalischen Vereins eingerichtet worden ist, zu sehen.

Das Physikgebäude in der Robert-Mayer-Straße / Ecke Senckenberg-Anlage beherbergte auch von Anfang an den Öffentlichen Wetterdienst (vorher noch im Vereinsgebäude in der Stiftstraße), der 1906 die erste Wetterkarte herausgab. Auch auf dem Vereinsgelände auf dem Kleinen Feldberg wurde eine Wetterdienststelle eingerichtet. An dieser Stelle sei erwähnt, daß der Physikalische Verein 1926 das Gebäude Feldbergstr. 47 erwarb, um es dem Institut für Meteorologie und Geophysik (wie es nun hieß) zur Verfügung zu stellen, weil die Räumlichkeiten im Physikgebäude nicht mehr ausreichten. Auch der Wetterdienst zog mit in das neue Institutsgebäude.

15. Beiträge zur Chemie und Physikalischen Chemie

Der Physikalische Verein berief 1895 Prof. Martin Freund (1863–1920) als Leiter des Chemischen Instituts, der in Breslau und Berlin studiert hatte. Er baute eine Reihe von chemischen Reaktionen zu technischen Verfahren aus und richtete dementsprechend die chemischen Laboratorien ein, zunächst in der Stiftstraße und 1907 dann in dem großräumigen Physikgebäude in der Robert-Mayer-Straße. Die Arbeitsgebiete des Instituts waren u. a. Gase, Hochdruckchemie, Farbstoffe, Sprengstoffe, Zuckerchemie, Metallgewinnung, Hydride, Analytik u. a. – durch Heinrich Roeßler z. B. auch Porzellanfarben und Beseitigung saurer Gase. Es wurden enge Verbindungen mit den Firmen Cassella, Degussa, Hoechst, Metallgesellschaft u. a. gepflegt. 1919 konnte das Chemische Institut dann in das von der Universität errichtete Gebäude gegenüber umziehen.

Durch großzügige Spenden von Arthur von Weinberg, dem Neffen von Leo Gans, und der Georg und Franziska Speyerschen Hochschulstiftung wurde es dem Physikalischen Verein ermöglicht, auch ein Institut für Physikalische Chemie einzurichten. Als Direktor konnte Richard Lorenz (1863–1929) gewonnen werden; er stammte aus Wien und studierte Chemie in Göttingen. Er war Kollege von Nernst, der in Göttingen das erste Institut für Physikalische Chemie gründete.1896 wurde Lorenz an die ETH in Zürich gerufen, um dort das Institut für Physikalische Chemie und Elektrochemie zu gründen. Seine Arbeitsgebiete in Frankfurt waren Thermodynamik, Geschmolzene Salze, Pyrosole (Metallnebel), Metallschmelzen und Schlacken (Meteorproblem) und vor allem Elektrochemie, alles auch mit dem Ziel der industriellen Chemie. Prof. Richard Lorenz schrieb das bedeutende Buch "Praktikum der Elektrochemie" und ausserdem 250 Veröffentlichungen bis zu seiner Emeritierung 1928. Sein Nachfolger wurde 1930 Friedrich Bonhoeffer, der den Umzug in den Neubau durchführte.

Der Physikalische Verein war wiederum als Bauherr aufgetreten und hatte angrenzend an das Alte Physikgebäude 1930 ein neues Gebäude errichten lassen, ausschließlich für die Physikalische Chemie. Leider wurde es durch eine Luftmine 1944 völlig zerstört; heute befindet sich an seiner Stelle das Gebäude der Theoretischen Physik.

16. Der Physikalische Verein als Mitstifter der Universität

Die Beteiligung an der Universitätsgründung 1913 in Frankfurt, und zwar in aktiver mitinitiierender Weise, soll auch als Beitrag des Vereins zur Naturwissenschaft gewertet werden, – gab dies doch einen enormen Schub für Physik und Chemie. Aufgrund des freiwilligen Bürgerengagements waren unter dem Dach des Physikalischen Vereins sieben Institute und die Sternwarte entstanden, die jeweils einen wissenschaftlichen Direktor und weitere Dozenten und Mitarbeiter hatten mit funktionierendem Vorlesungsbetrieb und die voll und unentgeltlich in die Universität eingebracht und im wesentlichen auch bis zur Inflation 1923 auf Kosten des Vereins betrieben wurden. Prof. Wachsmuth wurde der erste Rektor der Universität.

Bei der Universitätsgründung wurde dann auch das Institut für Theoretische Physik gegründet, das zunächst noch vom Physikalischen Verein betreut wurde. Als erster Direktor wurde Prof. Max von Laue berufen, der kurz vorher den Nobel-Preis für die Entdeckung der Röntgenbeugung bekommen hatte. Nach ihm kam 1918 Prof. Max Born, späterer Nobelpreisträger. Ihm folgte 1921 Prof. Erwin Madelung (1881–1972), der sich auch mit der Quantenmechanik befaßte. Seit 1980 gibt es auch einen Lehrstuhl (Inhaber Prof. Wilhelm Kegel), der die Astrophysik mit vertritt.

Im Jahre 1943 nahm der Physikalische Verein teil an der Gründung des Instituts für Geschichte der Naturwissenschaften durch Prof. Willy Hartner, was durch maßgebliche Beteiligung der Stadt gelang. Hartner (1905–1981) studierte in Frankfurt Chemie und Astronomie und promovierte 1928 über Planeten bei Prof. Brendel; er blieb zunächst Assistent der Sternwarte und wendete sich dann – nachdem er sich in viele neue und alte Sprachen eingearbeitet hatte – der Geschichte der Naturwissenschaften zu, auf welchem Gebiet er Weltruf gewann. Das Institut wurde zunächst in den Räumen der Sternwarte untergebracht, die aber 1944 zerstört wurde, und kam dann im Institut für Meteorologie und Geophysik unter. Vor kurzem wurde eine Gedenktafel zur Gründung des Instituts für Geschichte der Naturwissenschaften anläßlich des fünfzigjährigen Jubiläums im Alten Physikgebäude angebracht.

17. Beiträge zur Astronomie, Planeteninstitut, Kometenforschung

Wie bereits in Abschnitt 8 erwähnt, haben sich Mitglieder schon von der Vereinsgründung an mit astronomischen Fragen und Experimenten beschäftigt – auch in der Sternwarte auf dem Turm der Paulskirche. Die Zahl der interessierten Mitglieder nahm nun so zu, daß 1877 eine Astronomische Sektion gegründet wurde. Zu der Zeit war Leiter der Sternwarte Prof. Theobald Epstein, von dem Karl Schwarzschild gründlich in die Astronomie eingeführt wurde. Karl Schwarzschild (1873–1916) hat für die Physik und Astronomie Bedeutendes geleistet – er ist einer der Begründer der Astrophysik –, konnte dies aber nicht in Frankfurt, weil es hier keine Universität oder große Sternwarte gab. Er ist Sohn einer der ältesten jüdischen Familien Frankfurts und Ehrenmitglied des Physikalischen Vereins. (Im Jahresbericht 1991 des Physikalischen Vereins sind seine Arbeiten von einer Reihe von Gelehrten in Vorträgen wieder gewürdigt worden, die in der Vortragsreihe des Physikalischen Vereins aus Anlaß des 75sten Todestages des großen Wissenschaftlers vorgetragen wurden.)

Auf dem Turm des neu erbauten Physikgebäudes wurde 1907 die neue Sternwarte errichtet, die mit einem von dem Bankier Moritz Oppenheim gestifteten Refraktor ausgerüstet wurde. (Das durch die Georg und Franziska Speyer'sche-Hochschulstiftung erworbene Fernrohr ist leider nicht mehr vorhanden.) Als Direktor der Sternwarte wurde vom Physikalischen Verein Prof. Martin Brendel berufen, der sie dann als Astronomisches Institut geführt hat. Brendel (1862–1939) war ebenfalls als Professor für Versicherungsmathematik an die Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften berufen worden; er studierte in Berlin, München, Stockholm, Paris und London Mathematik und Astronomie, habilitierte sich in Greifswald und ging 1898 als Professor nach Göttingen.

Zusätzlich zum Astronomischen Institut wurde mit Hilfe der Georg und Franziska Speyerschen Hochschulstiftung und der Stadt Frankfurt 1913 das Planeteninstitut gegründet, dessen Leiter ebenfalls Brendel wurde. Dessen Aufgaben waren u. a., die Himmelsmechanik weiter zu entwickeln und die Bahnen von Hunderten von Asteroiden zu berechnen. So wurden auch einige Namen für Kleinplaneten vergeben, die an verdiente Mitglieder des Physikalischen Vereins erinnern: Leonisis, Eugenisis (und später Brendelia und Boda).

Als 1935 das Astronomische Universitätsinstitut aufgelöst wurde, erhielt Karl Boda (1889–1942) eine Dozentur für Astronomie in Frankfurt und wurde amtierender Leiter des Planeteninstituts, das jedoch 1939 nach Heidelberg verlegt wurde. Nach Bodas Tod ging das Planeteninstitut auf im Astronomischen Recheninstitut in Heidelberg. Als zusammenfassendes Ergebnis des Planeteninstituts sind zu nennen: Brendels vierbändiges Werk über Theorie der kleinen Planeten und die Bahnberechnungen von über 600 Planetoiden durch die Mitarbeiter des Instituts.

Nach Auflösung des Astronomischen Instituts fiel die Sternwarte wieder an den Physikalischen Verein und sollte nach Vorstellungen von Boda zur Volkssternwarte ausgebaut werden. Zwar hatte die Stadt schon ihre Hilfe zugesichert, aber der Plan wurde durch die Zerstörung der Sternwarte durch Brandbomben in der Nacht vom 22./23. März 1944 vereitelt.

Die Sternwarte des Physikalischen Vereins beteiligte sich auch an der Kometenforschung. Als 1910 der Halleysche Komet wieder erwartet wurde, ist eine temporäre astronomische Beobachtungsstation auf dem Großen Feldberg errichtet worden. Zur Fortsetzung der Forschung mußte man 75 Jahre warten: Unter der Leitung des damaligen Vorsitzenden des Physikalischen Vereins, Hans-Ludwig Neumann, wurde eine Expedition nach Namibia durchgeführt, um an dem Programm "International Halley Watch" teilzunehmen, was vorzüglich gelang.

18. Wiederaufbau und Weiterentwicklung

Am 5. März 1945 fiel die letzte Bombe auf das Physikgebäude, und 24 Tage später waren die Amerikaner da. Um die Wiederinbetriebnahme der verbliebenen Räumlichkeiten kümmerten sich besonders die Professoren Czerny vom Physikalischen Institut und Magnus vom Institut für Physikalische Chemie, und 1949 faßte dann der Physikalische Verein den Entschluß, für den Wiederaufbau zu sorgen. Unter seinem Vorsitzenden Dr. Ludwig Protz, dem stellvertr. Vorsitzenden Dr. Philipp Siedler und dem Schatzmeister Dipl.-Kaufm. (und Bankier) Kurt Heide wurde die Finanzierung des Wiederaufbaus ermöglicht, wobei die Hypothekenzinsen von der Stadt getragen wurden. 1951 konnte schon Richtfest gefeiert werden; aber der Physikalische Verein setzte seine Aktion fort, bis 1956 der Große Hörsaal fertiggestellt war und schließlich 1960 die Sternwarte durch den Vorsitzenden Dr. Siedler wieder eröffnet werden konnte.

Bald danach wurde Hans-Ludwig Neumann (1938–1991) Leiter der Sternwarte und später Vorsitzender des Vereins; er setzte die Sonnen- und Kometenforschung fort, wobei ihn der Astronomische Arbeitskreis des Vereins tatkräftig unterstützte. Auch jetzt werden diese Arbeiten vom Astronomischen Arbeitskreis fortgesetzt und neue Themen aufgegriffen, z.B. CCD-Astronomie. Im übrigen nimmt der Physikalische Verein eine seiner Hauptaufgaben weiterhin sehr ernst, nämlich die Verbreitung physikalischen Wissens.

Wenn man an die Diskussion über den Schutz der Umwelt und den Industrie- und Forschungsstandort Deutschland denkt, so ist diese Aufgabe wichtiger denn je. Der Physikalische Verein ist bereit, weiterhin zur Pflege und Förderung von Physik, Astronomie und Technik beizutragen.

Literatur:

Die Hauptquelle ist das Buch von dem früheren Vorsitzenden des Physikalischen Vereins, Dr. Heinz Fricke: "150 Jahre Physikalischer Verein".

Ferner sind zu nennen die Broschüren "125 Jahre Physikalischer Verein", "Festschrift" sowie "Bericht" über "100 Jahre Physikalischer Verein", "Neubau des Physikalischen Vereins 1907 und zahlreiche Jahresberichte und Sonderdrucke (z. B. über Gedenkfeier Philipp Reis 1961). Außerdem Schriften des Historischen Museums: "Die zweite industrielle Revolution“ sowie: „Eine neue Zeit: Die Internationale Elektrotechnische Ausstellung 1891".

Ferner: "Festschrift 100 Jahre VDE" sowie das Buch "Physiker und Astronomen in Frankfurt" von K. Bethge u. H. Klein (Hrsg.) und schließlich das Buch "Das Telephon von Philipp Reis" von R. Bernzen.