Wir erinnern an unsere jüdischen Mitglieder
Jüdische Menschen waren und sind wichtiger Teil des Physikalischen Vereins. 85 Jahre nach den Novemberpogromen erinnern wir an die jüdischen Mitglieder des Vereins.
Die Beiträge von Jüdinnen und Juden zur Physik, für die Stadt Frankfurt und für den Physikalischen Verein dürfen nicht unterschätzt werden. Unser Ehrenmitglied, der Frankfurter Karl Schwarzschild, gilt als Begründer der Astrophysik. Der Physiker und Nobelpreisträger Otto Stern führte gemeinsam mit Walther Gerlach in unserem Gebäude 1922 den bekannten Stern-Gerlach-Versuch durch. Industrielle wie Leo Gans oder Arthur von Weinberg förderten den Physikalischen Verein durch großes privates und finanzielles Engagement.
Die Tapete war dauerhafter als das tausendjährige Reich
Vor 85 Jahren versuchten die Nationalsozialisten jegliche Erinnerung an diese wichtigen Beiträge und die Personen dahinter zu tilgen:
„Einige Fanatiker drohten, sie würden die jüdischen Namen auf den Ehrentafeln mit der Spitzhacke attackieren.“ So berichtet der Physiker und Zeitzeuge Helmut Müser über die Tage nach den Novemberpogromen. Gemeint sind dabei die Tafeln der Ewigen Mitglieder, auf denen der Physikalische Verein großzügige Spenderinnen und Spender verewigt. Auf den Tafeln fanden sich damals wie heute auch jüdische Persönlichkeiten wie Georg und Franziska Speyer oder Leo Gans. Die Anekdote erzählt Müser wie folgt weiter: „Daraufhin ließ Professor Czerny die Tafeln um 6 Uhr morgens durch den im Hause wohnenden Mechanikermeister Opfer mit einer Tapete überkleben. Unter deren Schutz haben die Tafeln überlebt – die Tapete war dauerhafter als das tausendjährige Reich!“.
Ausschluss, Deportation, Ermordung oder Emigration
Doch nicht nur die Erinnerung an jüdische Personen und deren Wirken wollten die Nationalsozialisten zerstören. Während der Novemberpogrome zerstörten sie jüdische Einrichtungen und Geschäfte, Wohnungen und Synagogen. Jüdinnen und Juden sollten am gesellschaftlichen Leben nicht mehr teilhaben.
Auch eine zweite Anekdote gibt Müser wieder: „Einige Tage nach der „Reichskristallnacht“ schrieb der Verein seinen noch verbliebenen jüdischen Mitgliedern, „unter den zwingenden obwaltenden Umständen“ müsse man sie ersuchen, ihren Austritt zu erklären. Die gewundene Formulierung verriet deutlich das schlechte Gewissen derer, die den Brief verfaßten. Bei den Nazis im Hause aber herrschte laute Empörung, weil die jüdischen Mitglieder nur zum Austritt aufgefordert und nicht mit Schimpf und Schande ausgestoßen wurden; ferner auch deshalb, weil dies nicht schon längst geschehen war.“
Neben Anekdoten gibt es auch historische Fakten zu einigen betroffenen Mitgliedern: Das jüdische Ehepaar Oppenheim, großzügige Stifter des Physikalischen Vereins, beging nach der „Machtergreifung“ 1933 gemeinsam Selbstmord. Leo Gans, Förderer und Vorsitzender des Physikalischen Vereins, musste alle Ämter 1935 niederlegen. Arthur von Weinberg starb 1942 im Konzentrationslager Theresienstadt. Zahlreiche Mitglieder des Vereins wurden ausgeschlossen, deportiert und ermordet oder mussten emigrieren.
Bisher können wir nur solche Anekdoten erzählen. Bis heute sind die Unterlagen des Vereins sowie private Dokumente und Aufzeichnungen nicht systematisch aufgearbeitet und eingeordnet. Ein Versäumnis, das wir anlässlich unseres Jubiläumsjahres aufholen möchten und dazu eine umfangreiche historische Aufarbeitung der NS-Zeit durch unabhängige Historiker in Auftrag geben werden.